von Patentanwalt Prof. Dr. H. B. Cohausz

Sollte vor Auslandsanmeldungen eine deutsche Patentanmeldung eingereicht werden? 

 

In deutschen Unternehmen war es bisher üblich vor Auslandsanmeldungen eine deutsche Patentanmeldung (Erstanmeldung ) einzureichen und erst danach Auslandsanmeldungen zu tätigen. Die Auslandsanmeldungen wurden innerhalb von 12 Monaten ab Anmeldetag der deutschen Erstanmeldung eingereicht und bei den Auslandsanmeldungen wurde die Priorität der deutschen Erstanmeldung beansprucht, wie dies Bild 1 zeigt. In letzter Zeit sind aber einige Unternehmen dazu übergegangen, ohne eine vorherige deutsche Erstanmeldung sogleich Auslandsanmeldungen insbesondere eine europäische oder PCT-Patentanmeldung einzureichen, um die Kosten einer deutschen Erstanmeldung einzusparen. Es stellt sich die Frage, ob hierzu geraten werden kann.

Das Einreichen einer deutschen Erstanmeldung führt zu folgenden Vorteilen: 

1. Verdoppelung der Chance Schutz in Deutschland zu erhalten

Bei vielen Patentanmeldungen ist nicht absehbar, ob der Prüfer eines Patentamtes ein Patent erteilen wird. So kann es geschehen, dass zur selben Erfindung in einem Patentamt der Prüfer die Erfindung für schutzfähig hält und in einem anderen Patentamt der Prüfer sie ablehnt. Wird eine Erfindung sowohl in einer ersten deutschen Patentanmeldung als auch in einer darauf folgenden europäischen oder PCT-Patentanmeldung beansprucht so erhöht sich die Chance dass zumindest der deutsche oder der europäische Prüfer die Erfindung für schutzfähig hält. Damit verdoppelte sich die Chance in Deutschland und damit in dem wichtigsten europäischen Wirtschaftsgebiet Schutz durch ein deutsches Patent zu erhalten.

2. Verbesserungen und Ergänzungen können nachgereicht werden

In Unternehmen ist oft zu beobachten, dass nach dem Einreichen einer Patentanmeldung Weiterentwicklungen der Erfindung insbesondere in Form von Verbesserungen und Alternativen entstehen. Wird eine Erfindung zuerst in einer deutschen Erstanmeldung eingereicht, so besteht eine zwölfmonatige Frist innerhalb der Auslandsanmeldungen insbesondere eine europäische oder PCT-Anmeldung eingereicht werden können, unter Beanspruchung der Priorität der ersten deutschen Patentanmeldung. Entstehen innerhalb dieses Zeitraums von 12 Monaten Weiterentwicklungen insbesondere Verbesserung der Erfindung, so können diese noch in die Auslandsanmeldungen hineingenommen werden. Würde dagegen die Erfindung von Anfang an als europäische oder PCT-Anmeldung eingereicht werden, so besteht dieser einfache und kostengünstige Weg nicht, sondern es müsste eine zweite europäische oder PCT-Anmeldung angemeldet werden, die die Weiterentwicklungen enthält und zu einer Verdoppelung der Auslandsanmeldekosten führt.

3. Anmeldungen im Prioritätszeitraum

Entstehen nach dem Anmeldetag der ersten deutschen Erstanmeldung Weiterentwicklungen, insbesondere Verbesserungen, und stellt sich heraus, dass diese Weiterentwicklungen sehr bald und damit vor dem Einreichen von Auslandsanmeldungen veröffentlicht werden, so können die Weiterentwicklungen in einer oder mehreren deutschen Anmeldungen geschützt werden, deren Anmeldetag zwischen der deutschen Erstanmeldung und dem Anmeldetag der Auslandsanmeldungen liegen und die im folgenden „Zwischenanmeldungen“ genannt werden. Das Einreichen solcher Zwischenanmeldungen ist verhältnismäßig wenig arbeitsaufwendig, da normalerweise der Text der ersten deutschen Erstanmeldung verwendet wird und dieser nur um die Weiterentwicklung bzw. Verbesserung ergänzt werden muss. Bei den Auslandsanmeldungen werden dann die Erstanmeldung und die Zwischenanmeldung zusammengefasst, so dass dann dort nur eine einzige PCT-Anmeldung oder europäische Patentanmeldung eingereicht wird, bei der die Prioritäten der deutschen Erstanmeldung und der Zwischenanmeldung beansprucht werden, Bild 2.

Sollten die Weiterentwicklungen erst im letzten Drittel der zwölfmonatigen Prioritätsfrist entstanden sein, so kann es alternativ richtig sein, keine Zwischenanmeldungen zu tätigen sondern die Auslandsanmeldungen vorzuziehen, d.h. die zwölfmonatige Prioritätsfrist nicht vollständig auszunutzen und die Weiterentwicklungen in die Auslandsanmeldungen mit hinein zu nehmen.

4. Das Rechercheergebnis des Deutschen Patent- und Markenamtes

Eine deutsche Erstanmeldung bietet die Chance, rechtzeitig vor Ablauf der Prioritätsfrist einen amtlichen Recherchebericht zu erhalten. Deshalb ist es ratsam, bei der deutschen Erstanmeldung den Rechercheantrag zu stellen, so dass spätestens nach 9 bis 10 Monaten der Recherchebericht vorliegt, der dabei behilflich ist zu beurteilen, ob es überhaupt sinnvoll ist, Auslandsanmeldungen zu tätigen. In den Fällen, in denen der Recherchebericht einen sehr nahen Stand der Technik zeigt, wird oft entschieden, Auslandsanmeldungen nicht einzureichen.

Hierbei gilt zu beachten, dass die Gebühren eines Rechercheantrages beim Deutschen Patent- und Markenamt mit EUR 250,00 sehr niedrig sind. Eine Recherche in der internationalen Patentliteratur müsste entsprechend dem erheblichen Arbeitsaufwand mindestens EUR 2000,00 kosten. Das Deutsche Patent- und Markenamt kann sich aber diesen niedrigen Preis leisten, da es den Recherchearbeitsaufwand über die eingehenden Jahresgebühren ausgleicht.

Das durch die deutsche Erstanmeldung erlangte Rechercheergebnis führt oft dazu, dass für die Auslandsanmeldungen der Anmeldungstext und insbesondere die Patentansprüche erheblich umformuliert werden, um sich gegenüber dem zitierten Stand der Technik abzugrenzen. Oft handelt es sich um Neuformulierungen und Erweiterungen, die den Ingenieuren und dem Patentanwalt erst nach Kenntnis naher Druckschriften einfallen. Diese erheblichen Änderungen können in die noch einzureichenden Auslandsanmeldungen eingebracht werden. Dagegen besteht die Möglichkeit solcher weitreichender Änderungen und Korrekturen nicht, wenn ohne vorherige Erstanmeldung sofort im Ausland Patentanmeldungen eingereicht werden, da eine einmal eingereichte Patentanmeldung niemals erweitert werden darf.

5. Die deutsche Erstanmeldung als taktische Reserve 

Weitere erhebliche Vorteile erbringt die deutsche Erstanmeldung, wenn bei ihr kein Prüfungsantrag sondern nur ein Rechercheantrag gestellt wird. Da bei einer deutschen Patentanmeldung sieben Jahre mit dem Prüfungsantrag gewartet werden kann, ist es taktisch klug, diesen Zeitraum voll auszunutzen und die deutsche Erstanmeldung nach Erhalt des Rechercheergebnisses in einer Warteposition zu belassen. Statt dessen wird mit den Auslandsanmeldungen weiter verfahren, bis durch die europäische Patentanmeldung Schutz für Deutschland erreicht ist. Die deutsche Erstanmeldung bleibt weiterhin solange unangetastet, bis bei Ablauf der sieben Jahre die Prüfung beantragt werden muss. Ein solches taktisches Vorgehen mit einer deutschen Erstanmeldung in Reservestellung hat folgende Vorteile:

  1. Die Konkurrenz ist lange im Ungewissen, wie die endgültigen Patentansprüche aussehen, so dass es für die Konkurrenz schwer ist, Umgehungen zu finden.
  2. Während des langen Zeitraumes, in dem noch kein erteiltes Patent besteht, kann gegen Verletzer in der Weise vorgegangen werden, dass Gebrauchsmuster abgezweigt werden, die den selben Anmeldetag wie die Patentanmeldung besitzen. Verletzungsklagen aus einem Gebrauchsmuster führen zu einem erheblich geringeren Kostenrisiko, da ein Löschungsverfahren gegen ein Gebrauchsmuster mit nur etwa einem Zehntel des Kostenrisikos einer Patentnichtigkeitsklage verbunden ist.
  3. Während des langen Zeitraumes, in dem noch kein erteiltes Patent besteht, können Patentanmeldungen mit wichtigen Teilerfindungen abgeteilt werden. Oft wird erst Jahre später gewusst, welche technischen Inhalte einer Patentanmeldung besonders wichtig sind.
  4. Im späten Prüfungsverfahren der Patentanmeldung ist besser erkennbar, welche technischen Inhalte einer Patentanmeldung besonders wichtig sind, so dass die Patentansprüche wirksamer formuliert werden können
  5. Wird eine Europäische Patentanmeldung eingereicht, so wird verhindert, dass neben dem Europäischen Patent nicht auch noch ein Deutsches Patent mit denselben Patentansprüchen entsteht. Vielmehr kann nach der Erteilung des Europäischen Patentes dafür gesorgt werden, dass die Patentansprüche des Deutschen Patentes Merkmale beanspruchen, die das Europäische Patent nicht genügend schützt.

6. Längere Laufzeit

Ein weiterer allerdings weniger wichtiger Vorteil einer deutschen Erstanmeldung vor Auslandsanmeldungen besteht darin, dass durch die Erstanmeldung die Auslandsanmeldungen erst ein Jahr später eingereicht werden und damit ein Jahr später enden. Durch eine Erstanmeldung wird somit bei den Auslandsanmeldungen ein Jahr Laufzeit gewonnen. Da über eine europäische Patentanmeldung auch eine deutsches Patent erreicht wird, beträgt die Schutzdauer nicht nur im Ausland sondern auch in Deutschland 21 Jahre.

Werden Kosten eingespart?

Wie oben bereits erwähnt, wird der Verzicht auf eine deutsche Erstanmeldung damit begründet, dass Kosten eingespart werden. Eine von einem deutschen Patentanwalt ausgearbeitete und eingereichte deutsche Erstanmeldung führt bei durchschnittlichem Umfang und Schwierigkeitsgrad bis zur Einreichung der Anmeldung zu Amtskosten in Höhe von EUR 310,00 (inklusive Rechercheantrag) und zu Anwaltskosten in Höhe von ca. EUR 3500,00. Eine darauf folgende europäische oder PCT-Patentanmeldung führt dann noch einmal zu Kosten in Höhe von ca. EUR 4000,00 (stets ohne Mwst.).

Wird die Entscheidung getroffen, dass ohne eine vorherige deutsche Erstanmeldung gleich eine europäische oder PCT-Anmeldung eingereicht wird, so kann man zu der Ansicht kommen, dass die Kosten der deutschen Erstanmeldung in Höhe von ca. EUR 3500,00 eingespart werden. Dies ist aber nicht richtig, da die deutsche Erstanmeldung die Kosten der Ausarbeitung der Patentanmeldung mit enthält. Diese Ausarbeitungskosten sind bei den Auslandsanmeldungen hinzu zu rechnen, wenn die deutsche Erstanmeldung weggelassen wird. Somit führt das Weglassen einer deutschen Erstanmeldung nur zu geringen Kosteneinsparungen in Höhe von ca. EUR 800,00.

Eine vorab eingereichte deutsche Erstanmeldung erbringt sogar erhebliche Kosteneinsparungen in dem Fall, in dem das Rechercheergebnis der deutschen Erstanmeldung zeigt, dass die Erfindung nicht neu ist und damit Auslandsanmeldungen sich erübrigen. Diese Einsparungen können die geringen zusätzlichen Kosten einer deutschen Erstanmeldung bei der Gesamtzahl aller Anmeldungen aufheben. Wird z.B. bei jeder zehnten Erstanmeldung auf Grund des im Recherchebericht genannten nahen Standes der Technik vom Anmelder entschieden, auf Auslandsanmeldungen zu verzichten, so sind durch die eingesparten anfänglichen und späteren Auslandskosten die Mehrkosten der Erstanmeldungen bereits ausgeglichen.

Ergebnis der Betrachtung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die o.g. erheblichen Vorteile einer deutschen Erstanmeldung nicht aufgegeben werden sollten, zumal Kosteneinsparungen nicht oder nur im geringsten Maße erreichbar sind. Somit wird dazu geraten, weiterhin vor Auslandsanmeldungen stets eine deutsche Patentanmeldung einzureichen.

 

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Diese Seite wurde zuletzt geändert am 01.05.2009/ WI.
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